Afghanistan Einsatz – Sinnvoller als gedacht?

09.09.2021
Persönliche Meinung

Blogbeitrag von Lasse Petersen zum Afganistan-Einsatz der Bundeswehr.

Es war der 11. September 2001, als einer der schlimmsten Attentate in der westlichen Welt verübt wurde. Nach dem Anschlag wurde der Bündnisfall in der Nato ausgerufen und kurze Zeit später waren westliche Truppen für knapp 20 Jahre in Afghanistan.

Was ist in Afghanistan überhaupt passiert und waren die Ziele, die man sich gesetzt hat, realistisch? War der Einsatz sinnvoll und war es richtig, nach 20 Jahren die Truppen abzuziehen? Was können wir daraus für zukünftige Einsätze lernen? Es gibt also viele offene und spannende Fragen, die ich anhand meiner subjektiven Meinung im folgenden Text beantworte.

Nach den Anschlägen sicherte Deutschland den USA die uneingeschränkte Solidarität zu. Anfang 2002 waren die ersten deutschen Truppen dann auch in Afghanistan. Zuerst in der Hauptstadt Kabul, ab 2005 stand der gesamte Norden unter deutscher Verantwortung. Über 5000 deutsche Soldaten waren zu dem Zeitpunkt in Afghanistan. Für eine Fläche wie die fünf östlichen Bundesländer und Bayern zusammen. Also ein großes Gebiet. Insbesondere die Amerikaner waren es, die am Anfang in der Fläche gegen die Aufständischen kämpften. Zuerst mit Spezialkräften, die zusammen mit Warlords und Luftschlägen gegen die Taliban kämpften.

Für Deutschland war es erst ein Stabilisierungseinsatz. Das heißt, dass man in den ersten Jahren Patrouillen gefahren ist, Schulen gebaut und Brunnen gebohrt hat. Am 7. Juni 2003 gab es dann den ersten Anschlag auf deutsche Soldaten. Der Anschlag eines Selbstmordattentäters. Es gab vier gefallene Soldaten. Danach fuhren Soldaten nur noch in geschützten Fahrzeugen aus dem Feldlager und das Vertrauen zur Bevölkerung war ein Rückschlag. In den nächsten Jahren waren die Taliban dann immer mehr auch im Norden auf dem Vormarsch und aus der Stabilisierung wurde ein Kampfeinsatz. Von 2006 bis 2009 verdoppelte sich die Zahl der Anschläge von Jahr zu Jahr im Norden. Im Juni 2006 stellten sich die Taliban das erste Mal frontal der Bundeswehr entgegen. Der Gegner fühlte sich stark. Es gab mehrere Gefechte, bei denen sich die Bundeswehr durchgesetzt hat. 2010 gab es das Karfreitagsgefecht, eine der Schattenseiten des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Soldaten wollten im Dorf Isa Khel eine abgestürzte Drohne zurückholen. Währenddessen wurden sie unbemerkt eingekreist und es gab große Verluste. Insbesondere in den Jahren 2011 und 2012 waren die Kämpfe zwischen Bundeswehr und Aufständischen auf dem Höhepunkt. Es gab oft tagelange Gefechte. Um mehr Stabilität in die Region zu bringen, hat man mehrere Vorposten in der Region errichtet, um sich besser auswirken zu können und dabei kam es zu Gefechten. Leider gab es 59 deutsche Soldaten, die gefallen sind. Ab 2014 wurde aus “ISAF” (International Security Assistance Support) dann “Resolut Support”. Das heißt nicht mehr selber aktiv eingreifen, sondern beraten und ausbilden. Insgesamt wurde über die Jahre mit dem vernetzten Ansatz gearbeitet. Das heißt, dass die Bundeswehr ein Baustein war, um in Afghanistan etwas aufzubauen. Der andere Teil bestand aus NGOs, Hilfsorganisationen, wirtschaftlicher Unterstützung usw. Dies hat man dann bis zum Abzug im Jahr 2021 gemacht.

Doch waren die Ziele, die man sich gesetzt hatte, realistisch und warum waren die Ziele vielleicht schwer zu erreichen?

Afghanistan ist ein Land, in dem über 50 verschiedene Sprachen gesprochen werden und in dem es viele verschiedene Ethnien und Stämme gibt. Viele bekämpfen sich untereinander. Hinzu kommen Warlords, die am Krieg mit Waffen verdienen. Islamistische Kämpfer wie Taliban oder andere Gruppierungen. Außerdem ist Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt und der größte Exporteur für Opium.
All diese Beispiele lassen schon darauf schließen, dass es sehr schwierig ist, in einem Land wie Afghanistan die Gleichstellung von Mann und Frau zu implementieren, Demokratie durchzusetzen oder einen Staat mit Regierung, Polizei und Armee aufzubauen.
Denn das waren ja unter anderem die Ziele der westlichen Staaten. Afghanistan zu einem Land zu machen, das keinen Nährboden mehr für Terroristen bietet und ein Land, von dem eben keine Gefahr mehr ausgeht. Die Ziele, die man sich politisch gesteckt hatte, waren also anspruchsvoll.
In der Realität sah es so aus, dass über die Jahre auch vieles besser wurde.
Es wurden Schulen gebaut und auch deutsches Steuergeld wurde in die Hand genommen, um dort eine Infrastruktur zu errichten. Die Bundeswehr hat dann nicht nur die Bauprojekte begleitet, sondern auch die Afghanische Armee und die Polizei ausgebildet. Dies gestaltete sich oft schwierig. Der Wille war bei den meisten zumindest in der Ausbildung vorhanden, allerdings konnten die meisten eben nicht einmal lesen und schreiben. Das heißt, es musste mit der Ausbildung sehr weit unten angesetzt werden. Jeder normale Mensch kann sich vorstellen, dass es somit lange dauert bevor ein Afghanischer Soldat zum Beispiel als JTAC (jemand, der für Luftangriffe die Koordinaten an den Piloten über Funk durchgibt) ausgebildet ist.
Ein weiteres Problem ist die Armut im Land. Sie führt dazu, dass es beispielsweise möglich war, Kopfgelder auf deutsche Soldaten auszusetzen. Außerdem sind in Afghanistan große Teile der Menschen durch die wirtschaftliche Lage käuflich und das nutzen die Taliban aus. Unter anderem gab es eine Menge Innentäter, Angriffe oder Spione in den eigenen Reihen der afghanischen Armee. Es gab auch viele Soldaten, die übergelaufen sind, weil die Taliban oft mehr Geld boten. Denn warum soll man für den Staat mit 150 Dollar im Monat arbeiten, wenn die Taliban 200 Dollar zahlen? Viele junge afghanische Männer haben zu Hause eine Familie zu ernähren. Die Taliban haben durch den Export von Opium oder Schutzgelderpressungen viel Geld zur Verfügung.

In der afghanischen Armee gab es ein Kommen und Gehen. Es kamen oft neue hinzu und oft liefen welche über oder sind gefallen. Die Ausrüstung ist oft schlecht und es gab keinen Nationalstolz, der motivierend ist. Das Thema Nationalstolz ist in diesem Zusammenhang wichtig, denn dadurch versteht man, weshalb die Afghanen nicht mehr gegen die Taliban kämpften. Die Masse der Menschen ist stolz auf ihren Stamm, auf ihre Sprache und auf deren eigene Regeln. Es gibt also nicht wirklich ein Nationalbewusstsein, das für das Land Afghanistan gilt. Aus meiner Sicht sind es viele unterschiedliche Gruppen, die in der Region Afghanistan leben, aber nicht in einem Land. Deswegen fehlt bei den Soldaten in den Köpfen auch das Motiv, wofür ich eigentlich kämpfe. Das heißt, die Motivation fehlt komplett. Das hängt natürlich auch mit der militärischen Führung der Afghanen zusammen, mit zu wenig wirtschaftlicher Attraktivität, aber auch keiner nationalen Bindung zur afghanischen Regierung, die im weit entfernten Kabul Versprechungen macht und somit bei vielen einfachen Menschen und Soldaten nicht ankommt. Das „wofür“ in den Köpfen der Afghanen fehlt also komplett und dadurch auch der Wille zum Kampf. Deswegen hatten die Taliban auch leichtes Spiel nach dem Abzug der westlichen Truppen.  Denn viele kommen aus verschiedenen Regionen mit verschiedenen Sprachen und verschiedenen Ethnien. Außerdem war die afghanische Führung oftmals sehr unkoordiniert und überfordert. Nicht selten wurden bei einer Operation von vier afghanischen Generälen gleichzeitig unabgestimmt Befehle gegeben. Da muss man sich nicht wundern, dass es dann oft in einem Blutbad endete.

Das sind natürlich alles Faktoren, die sich auch moralisch auf die Soldaten und auf die Bevölkerung auswirken. Um ein Beispiel zu nennen: Wenn aus einem Konvoi mit 13 Fahrzeugen nur noch zwei wiederkommen, weil deren Kommandant gekauft war, dann ist das ganz schön frustrierend. So etwas gab es leider häufig, dass Führungskräfte von den Afghanen gekauft wurden. Die mangelnde Bildung und fehlende Führungskompetenz vieler Kräfte ist auch ein Problem. Die Armut im Land, weshalb viele Menschen dann doch eher bei den radikalen Aufständischen sind, die mehr zahlen und eben nicht bei den westlichen Werten. Bei all diesen Faktoren lässt es sich schon erahnen wie schwierig es ist, dort westliche Werte durchzusetzen und die politischen Ziele zu erreichen.

War der Einsatz sinnvoll und war es richtig nach über 20 Jahren rauszugehen?

Politisch war es nach meiner Auffassung nicht richtig, jetzt den Einsatz zu beenden. Vielleicht hätte man das Mandat verändern können, aber durch den Abzug ist vieles wieder um Jahre zurückgeworfen worden. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob der Unterschied so groß wäre, wenn die westlichen Staaten mit Resolut Support noch fünf oder zehn Jahre weiter gemacht hätten. Wie lange soll dieser unendlich lange Militäreinsatz denn noch gehen?  Man sieht aktuell wie instabil Afghanistan ist. Ohne NATO-Soldaten hat es gerade mal zwei Wochen gedauert bis quasi ganz Afghanistan wieder in den Händen der Taliban war. Während Resolut Support waren die Taliban auch schon auf dem Vormarsch. Man darf nie vergessen, weshalb man nach Afghanistan gegangen ist. Die Amerikaner sind es um Osama Bin Laden zu kriegen, um Terroristen zu bekämpfen und das haben sie zum Teil auch geschafft. Den Terrorismus langfristig und nachhaltig durch Stabilisierung zu bekämpfen, war eines der Ziele. Deutschland und andere Staaten sind aus Solidarität mit in den Einsatz gegangen.

Die Taliban wissen ganz genau, dass die westlichen Staaten dort nicht für immer sein werden. Das heißt, die Taliban saßen so etwas einfach aus. Dazu kommen wieder die Armut und die wenige Bildung, erst recht auf dem Land. Ist halt immer ein perfekter Nährboden für organisierte Kriminalität und um neue Terroristen zu rekrutieren. Man muss das Land dringend weiter mit Nachrichtendiensten beobachten, um einer möglichen Gefahr für die westliche Welt vorzubeugen. Die Taliban haben aber politisch auch dazugelernt. Sie haben sich politisch weiterentwickelt. Die Taliban machen der Bevölkerung nun Angebote, aber wie viel da dran ist, wird sich zeigen. Zum Beispiel, dass Frauen auch weiter arbeiten dürfen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Taliban nach 20 Jahren besetztem Land und auch vielen Verlusten kein Interesse mehr daran haben, wieder mit dem Westen Konflikte zu beginnen. Vielleicht sollte man auch wieder versuchen, langfristig mit den Taliban Verhandlungen aufzunehmen, aber das gestaltet sich aus meiner Sicht schwierig, denn was für Argumente hat man als westlicher Staat jetzt noch in der Hand, wo keine Soldaten mehr vor Ort sind? Spurlos gingen 20 Jahre NATO an den Taliban auf jeden Fall nicht vorbei!

Was haben wir nun aus 20 Jahren Afghanistan für Einsätze in der Zukunft gelernt?

Ich denke, man sollte es spätestens hier in eine militärische und eine politische Sicht unterteilen.
Militärisch hat insbesondere die Bundeswehr dort wirklich ein gutes Bild abgegeben und auch vieles dazu gelernt. Beispielsweise in der Zusammenarbeit mit anderen westlichen Verbündeten, bei der Ausbildung der Afghanen, beim Aufbau von Infrastruktur und vielem mehr. Der Preis war mit 59 gefallenen deutschen Soldaten hoch. Es gab mehrere Gefechte, die von deutscher Seite erfolgreich geführt und beendet wurden. Man hat also zehntausende deutsche Soldaten mit Einsatzerfahrung ausgestattet und das ist goldwert, um beispielsweise auch die Ausbildung der eigenen Kräfte in Deutschland anzupassen und um möglichst realistische Bilder zu stellen. Das ist wichtig für zukünftige Einsätze.

Ich würde nicht sagen, dass der Einsatz militärisch ein Erfolg ist, denn dazu sind die Ziele von der Politik einfach zu hoch gewesen. Sinnvoll auf jeden Fall durch die Erfahrung, die Soldaten in 20 Jahren Afghanistan gemacht haben. Zum Beispiel haben wir an Knowhow unfassbar dazu gelernt. Die Kampfmittelbeseitiger, die unzählige improvisierte Sprengladungen beseitigt haben und dadurch dazugelernt haben. Das man zum Beispiel in Ländern, wo aufständische mit Sprengladungen arbeiten, nur mit geschützten Fahrzeugen aus dem Feldlager fährt und nicht wie am Anfang mit ungeschützten. Das man direkt darauf vorbereitet ist und nicht erst abwartet bis etwas passiert.

Es sind nur kleine banale Beispiele, aber sie sollen zeigen, wie wertvoll diese Erfahrungen für künftige Einsätze sein werden. Wie zum Beispiel in Mali. Diese dazu gewonnene Erfahrung kann in Zukunft definitiv Menschenleben retten.

Ich denke, insbesondere ist es wichtig, was die Politik daraus für zukünftige Einsätze gelernt hat. Man darf, wenn man in andere ärmere Länder dieser Welt geht, mit einem anderen Glauben und einem anderen System nicht einfach denken, dass man aus solchen Ländern in wenigen Jahren einen Staat mit einem westlichen Weltbild machen kann, auch wenn das westliche Weltbild in der Weltbevölkerung mit Wohlstand und vielen Rechten schon viel Zustimmung findet. Es ist immer ein sehr langer Prozess. Natürlich wäre es am besten, wenn überall Demokratie herrschen würde und Mann und Frau gleichberechtigt wären. So einfach ist die Welt allerdings nicht. Auch wenn die Demokratie von der Masse der Bevölkerung in Afghanistan zuletzt gut angenommen wurde.
Der Ansatz ist schon richtig, den Menschen in Zukunft eine Perspektive und Sicherheit zu bieten. Also möglichst im Rahmen des vernetzten Ansatzes. Dabei denke ich insbesondere an Länder, die vielleicht in Zukunft relevant für Deutschland und die EU sind. Nämlich an Länder in Afrika. Wenn man dort versucht, Menschen eine Perspektive zu bieten in Verbindung mit mehr Sicherheit, dann wäre schon eine Menge erreicht. Dabei denke ich insbesondere an die Bekämpfung von Fluchtursachen. Allerdings würde es auch dort lange dauern, weil diese Länder einfach ein anderes Staatsverständnis haben. Ich denke, in Zukunft muss man eine umfassende Analyse machen. In welche Länder es sich lohnt, militärisch reinzugehen oder nur humanitär zu unterstützen, um den Menschen vor Ort eine Perspektive zu bieten. Denn manche Länder kann man nicht ändern, jedenfalls nur sehr schwer.
Ich denke also, dass wir in Zukunft für weltweite Einsätze aus dem Afghanistan- Einsatz dazu gelernt haben. Diese Erfahrung ist goldwert. Politisch hat man nun ebenfalls die Möglichkeit, eine Bilanz zu ziehen und wie schon angesprochen, seine Ziele für künftige Einsätze vielleicht etwas zu verändern. Dann wäre schon viel erreicht!