Blogbeitrag zu Nord Stream 2 (Teil 1)

06.05.2021
Persönliche Meinung

Blogbeitrag von Justus Alexander Schmitt, Beisitzer im Landesvorstand und Kreisvorsitzender der JU Pinneberg, zu Nord Stream 2

Konsequent handeln & Nord Stream 2 beenden

Die Nord Stream 2-Gaspipeline belastet das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und ihren Partnern im Westen: Gerade deshalb braucht die Union eine klare Linie im weiteren Vorgehen. Ein Beitrag über ein wirtschaftlich umstrittenes, antieuropäisches Projekt, das Deutschland klimapolitisch unglaubwürdig macht und dessen Zukunft zeigen wird, ob wir bereit sind, außenpolitisch konsequent zu handeln.

In einer von globaler Disruption geprägten Zeit spielt die Bundesrepublik Deutschland auf dem internationalen Parkett eine wenig beneidenswerte Rolle, wenngleich die Tendenz zunächst anders erscheinen mag. So können wir uns glücklich schätzen, dass durch die neue US- amerikanische Administration nicht nur eine freundschaftliche Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten wieder möglich wird, sondern die Nation mit dem weltweit zweithöchsten CO2-Ausstoß (15%) ebenfalls in das Pariser Klimaabkommen zurückgekehrt ist. Auch die Pandemiebekämpfung in der Europäischen Union nimmt nach gehörigen Startschwierigkeiten an Fahrt auf. Ganz im Sinne unserer sicherheitspolitischen Interessen votierte der Bundestag jüngst sogar für notwendige, höhere Sicherheitshürden für chinesische Beteiligungen am 5G- Netz. Trotzdem: Der andauernde Disput über die Zukunft der Gaspipeline Nord Stream 2 stellt sich als Drahtseilakt für die deutsche Bundesregierung heraus, der die westliche Wertegemeinschaft und insbesondere die internationalen Beziehungen unseres Landes gehörig auf die Probe stellt. Dies geschieht nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Vergiftung, Verhaftung und Verurteilung einer der führenden russischen Oppositionellen Alexej Nawalny durch die Russische Föderation und der jüngst drohenden Eskalation an der russisch- ukrainischen Grenze.

Seit Jahren beschwören Befürworter der im Falle einer Fertigstellung rund 1200 km langen Pipeline, das Projekt Nord Stream 2 sei rein wirtschaftlicher Natur. Der Pipelinebau in der Ostsee habe demnach kein eigenes politisches Gewicht. Diese Argumentation vermag jedoch schon mit Blick auf die Eigentumsverhältnisse der Trasse nicht zu überzeugen. So liegt das Vorhaben der Nord Stream 2 AG, anders als das seit 2011 betriebene, baulich beinahe identische Pendant der Nord Stream AG, zu 100 % in den Händen des russischen Staatskonzerns Gazprom. Nachdem bereits während des Baus der ersten Pipeline von Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf Sicherheitsrisiken hingewiesen wurde und Sorgen der Exklusion von der europäischen Energieversorgung geäußert wurden, sieht sich auch das Projekt Nord Stream 2 von Beginn an erheblicher Kritik ausgesetzt. Die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Europäische Rat lehnten den Bau von vornherein ab, das isolierte Deutschland hatte schließlich nicht einmal mehr eine Sperrminorität im Rat erreichen können, um unbequeme Entscheidungen zum Pipelinebau und -betrieb zu verhindern. Der russische Eigentümer geriet zunehmend unter Druck, als die polnische Wettbewerbsbehörde ein Bußgeld in Milliardenhöhe wegen Verstößen gegen Marktregeln verhängte und Klagen der Projektgesellschaften vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) erstinstanzlich abgewiesen wurden, die auf die Nichtigkeit von energiepolitischen Änderungsrichtlinien der EU abzielten.

Auf der anderen Seite sind auch Umweltbelange bis heute immer wieder Gegenstand von angestrengten Klageverfahren gegen den Weiterbau und die Fertigstellung von Nord Stream 2 gewesen. Passend also, dass die von SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig geführte Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern jüngst die Stiftung Klima & Umweltschutz gründete, die gemäß des Stiftungszwecks in ihrer Satzung leisten will, was sie sich mit ihrem Namen auf die Fahne geschrieben hat. Offen wurde gemutmaßt, dass die Förderung von Nord Stream 2 durch das Land Mecklenburg-Vorpommern, beispielsweise über den Kauf von Baugeräten, sollten sich Bauunternehmen aus Angst vor US-amerikanischen Sanktionen nicht mehr am Bau beteiligen wollen, wohl ebenfalls kein unerheblicher Grund für die Stiftungsgründung sei, deren Vorsitz der ehemalige SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering übernahm. Eindrückliche Rückschlüsse darauf lässt auch der Blick in die Aufteilung des Stiftungskapitals in Gesamthöhe von 20.2 Millionen Euro zu: Ganze 20 Millionen Euro steuerte demnach Gazprom bei, schlappe 200.000 Euro gab es ergänzend vom Land. Dass der Verwaltungsratsvorsitzende der Projektgesellschaft Nord Stream 2 AG nun auch noch SPD- Altkanzler Gerhard Schröder ist, sollte wohl endgültige Zweifel an einer politischen Dimension der Gaspipeline ausräumen.

Dass ein Milliardenprojekt in einem politischen und staatlichen Interesse stehen kann, ist per se nicht verwerflich. Problematisch wird es jedoch, wenn ein Blick auf die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens geworfen wird. Diese wird grundsätzlich als eines der vordersten Argumente für die Fertigstellung genannt. So rechtfertigt die Bundesregierung ihre Absage an einen Baustopp unter anderem durch die Mitteilung, Europa werde einen Mehrbedarf an Erdgas von mindestens 100 Milliarden Kubikmeter pro Jahr haben. Tatsächlich strengte die Bundesregierung jedoch keine eigenen Berechnungen an, sondern verließ sich hier auf eine Prognose aus 2016 – von der Gazprom-Tochter Nord Stream 2 AG selbst, die ihr Vorhaben verständlicherweise realisieren möchte, sind doch schon zu viele Investitionen in das Projekt geflossen. Ergänzend erklärte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), der deutsche und europäische Erdgasbedarf würde erheblich überschätzt. Auf der Angebotsseite sei keine Versorgungslücke zu erkennen, würde Nord Stream 2 nicht gebaut. Zudem würden unterschiedliche Wirtschaftlichkeitsrechnungen nahelegen, dass mit dem Projekt Verluste bis in Milliardenhöhe zu erwarten seien. Darüber hinaus ist nicht nur die Wirtschaftlichkeit dieses Projekts höchst fragwürdig, die klimapolitische Glaubwürdigkeit Deutschlands steht ebenfalls auf dem Spiel: Klimapolitik in Deutschland und Europa kann schließlich nicht nur daraus bestehen, sich Ziele zur Klimaneutralität bis 2050 zu setzen und diese mit Zwischenzielen, beispielsweise mit einer Senkung des CO2-Ausstoßes in Europa bis 2030 um 55 Prozent nachzuschärfen. Diese Ziele müssen eben auch unerbittlich verfolgt werden. „Nachhaltige, zusätzliche Gaslieferungen“, wie sie die Nord Stream 2 AG auf ihrer Projektwebsite verspricht, stehen der vereinbarten langfristigen Abkehr von fossiler Energie entgegen.

Schließlich bleibt noch eine völkerrechtliche Dimension, in die sich dieses Projekt, ob es den jeweiligen Interessengruppen nun passt oder nicht, als eine Art Repressalie einordnen lassen muss. Wer glaubt, man könne auf Drohgebärden aus Russland gegenüber der Ukraine und NATO oder die völkerrechtswidrige Behandlung von Oppositionellen mit einer westseitigen Neuauflage von „Wandel durch Annäherung“ reagieren, wie es jüngst ein populärer Außenpolitiker der Linkspartei forderte, der verkennt den Ernst der Lage. Die Intensivierung von Handelsbeziehungen mit der Russischen Föderation lassen sich nicht durch die wirtschaftlichen Beziehungen zu anderen Staaten, die ebenfalls menschenrechtswidrig handeln, rechtfertigen. Der diplomatische Dialog muss zwar immer der erste, priorisierte Weg bleiben. Vielmehr hat nun aber die europäische Stunde geschlagen, um der scharfen Verurteilung mit Worten auch gebotene Sanktionen, also schlicht Taten folgen zu lassen. Die Sorge vor einer Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aufgrund dieser Sanktionen durch die Nord Stream 2 AG kann wohl eher gering bleiben, weil Betroffene wohl kaum Schadensersatz aufgrund der gegen sie selbst verhängten Sanktionen verlangen können. Auch dass die europäischen Investoren wie Wintershall DEA, Shell oder Engie Schadensersatzansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland oder die EU anmelden würden ist unwahrscheinlich. Viel eher wäre es juristisch betrachtet äußerst bemerkenswert, hätten sich besagte Investoren nach Beratung durch jene Interessenvertreter, die nun mit Ersatzansprüchen gegenüber Kanzleramt und Kommission drohen, nicht vertraglich gegenüber Gazprom abgesichert: dies gerade auch im Lichte der Komplikationen um Bau und Betrieb der ersten Pipeline. Für den Fall des Projektabbruchs ist wohl wahrscheinlich, dass bei diesen hohen Investitionssummen eine umfangreiche Entschädigung durch den politstrategisch unsicheren, russischen Partner zugesichert wurde.

Es ist zu begrüßen, dass führende Unionspolitiker Nord Stream 2 zunehmend als Gesamtprojekt oder zumindest den Umfang der Nutzung hinterfragen - wenngleich dessen Fertigstellung nun wohl kaum noch abwendbar ist. Eine Absage an Nord Stream 2 wäre der völkerrechtlich gebotene Abschied von einem in seiner Wirtschaftlichkeit umstrittenen, klimapolitisch irrsinnigen Vorhaben, das es bisher tatsächlich vermag, Deutschland von seinen westlichen Verbündeten tendenziell zu distanzieren. Die Absage an dieses Projekt wäre ein Zeichen von Klarheit und Konsequenz, das gerade der Christlich Demokratischen Union als Europapartei gut zu Gesicht stünde.