Der AfD-Erfolg ist ein Symptom eines gesellschaftlichen Risses

03.08.2023
Persönliche Meinung

Blogbeitrag von Tigran Nanjan

Der AfD-Erfolg ist ein Symptom eines gesellschaftlichen Risses.

 

Aktuell diskutiert ganz Deutschland über die neuesten Erfolge der Alternative für Deutschland. Bei der letzten Kommunalwahl in diesem Jahr erzielte die AfD einen Zuwachs von 2,6 %. Also sollten wir uns hier in Schleswig-Holstein keine großen Gedanken machen? Am Erfolg von radikalen Parteien ist nur die Ampel-Koalition schuld? Ich denke, beides ist falsch.

Klar, die politische Situation in den neuen Bundesländern mit der in Schleswig-Holstein zu vergleichen, ist etwas schwierig. Aber ich habe mich persönlich auf den Weg gemacht in eine ländliche Gemeinde des Kreises Pinneberg, wo die AfD bei der Kommunalwahl einen hohen Stimmenzuwachs verzeichnete. Ich bin der Auffassung, dass nur persönliche Begegnungen mit den Wählern dieser Partei die wahren Beweggründe offenbaren, warum die Menschen das Vertrauen in die CDU und die anderen Parteien verloren haben. Neben aktuellen Themen wie dem geplanten Heizungsgesetz von Robert Habeck und wirtschaftlichen Existenzängsten aufgrund hoher Energiepreise fiel mir auf, dass die Menschen zu einem gewissen Grad das Vertrauen in die etablierten Parteien verloren haben. Ich bekam oft dieselben Antworten – „Die da oben machen doch nur das, was sie wollen“ und „Ich werde jetzt nicht ehrlich mit Ihnen darüber reden“.

Es sind Sätze, die mich persönlich tief betroffen machten. Als überzeugter Demokrat habe ich mich auf eine persönliche Spurensuche begeben, um die Ursachen für den Vertrauensverlust ausfindig zu machen. Zwar habe ich keine eindeutige Antwort darauf gefunden, jedoch denke ich, dass ich mehrere Ereignisse in der politischen Geschichte Deutschlands im 21. Jahrhundert gefunden habe, die den Vertrauensverlust zwar nicht verursacht haben, aber zumindest verschärft haben dürften. Ich spreche hier über mehrere Ereignisse, an die ich mich selbst persönlich erinnere.

Ich war noch ein kleiner Junge, als ich die Fußball WM-2006 in unserem Land erlebte. Es ging als Sommermärchen in unsere moderne Geschichte ein. Jedoch braute sich jenseits des Atlantiks in den Vereinigten Staaten ein Sturm zusammen, dessen Folgen bis heute unabsehbar sind. Auch im sehr jungen Alter bekam ich die Panik täglich im Fernsehen mit. Durch den Zusammenbruch der US-Bank „Lehman Brothers“ im September 2008 erfasste die Krise die gesamte Finanzwelt. Das komplette Bankensystem geriet ins Wanken. Deutschland verabschiedete dann das teuerste Gesetz der Nachkriegsgeschichte. Das „Finanzmarktstabilisierungsgesetz“, welches am 18. Oktober 2008 in Kraft tat, hatte einen Umfang von bis zu 500 Milliarden Euro. Währenddessen ist Deutschland in eine wirtschaftliche Rezession geraten. Um 5,7 % brach die Wirtschaftsleistung unseres Landes ein. Die Arbeitslosenquote stieg rasant und die Staatsverschuldung des Landes stieg bis 2010 auf etwa 82,4 % der Wirtschaftsleistung. Viele Menschen fragten sich damals, wieso große Banken gerettet werden, aber die Durchschnittsbürger am Ende leer ausgingen. Es ist klar, dass die Stabilisierung der Banken für Deutschland alternativlos war, um unsere Wirtschaft vor noch größeren negativen Auswirkungen zu schützen. Jedoch blieb den Menschen damals das Bild im Kopf hängen, dass der Staat die Banken rettet und nicht die normalen Bürger. Dies war eine katastrophale Kommunikation der damaligen Bundesregierung, mit verheerenden Folgen für unsere Gesellschaft, die wir jetzt heute spüren. Neben den Vereinigten Staaten war Deutschland damals das am härtsten getroffene Land der Weltwirtschaftskrise. Das Bild, was den Menschen damals im Kopf hing, verhalf Donald Trump aus meiner Sicht zum Sieg in den  Präsidentschaftswahlen im November 2016. Dies wollte ich noch erwähnen.

 

Ihr fragt euch jetzt, wieso ich ausgerechnet dieses globale Ereignis
als Ausgangspunkt meiner persönlichen Spurensuche sehe.
Nun, nur kurz darauf eskalierte der Streit um das große Verkehrsprojekt „Stuttgart 21“. Deutschland hatte noch im Jahr 2009 mit den Folgen der Finanzkrise zu kämpfen und dann wurde einem immer größeren Teil der Bevölkerung die Pläne von der Modernisierung des Stuttgarter Bahnknotens bekannt. Mehrere Bürgerinitiativen gegen das Projekt wurden von der lokalen Politik ignoriert. Die Stimmung zwischen lokalen Bürgern und der Politik heizte sich im Laufe des Jahres 2010 weiter auf. Die Proteste gegen Stuttgart 21 führten dann am 30. September 2010 zu einem Polizeieinsatz, bei dem mehrere Hundert Demonstranten verletzt wurden. Die Bilder des Polizeieinsatzes sah ich damals im Fernsehen. Es machte mich sprachlos, wieso normale Bürger wegen eines Infrastrukturprojektes einander körperlich angriffen. Auch hier sehe ich als Grund für die aufgeheizte Stimmung eine katastrophale (Fehl-) Kommunikation zwischen der Politik und Gesellschaft. Die Sorgen der Menschen über ausufernde Kosten bei einem Fehlschlag des Projektes wurden nicht richtig aufgenommen. Viele Bürger hatten wieder das Bild im Kopf „Wenn es der Staat irgendwo vergeigt, dann bitten wir den Bürger wieder zur Kasse“. Nebenbei möchte ich anmerken, dass mit Stand Mai 2023 die endgültigen Kosten des Projektes noch nicht absehbar sind.

Im selben Jahr (August 2010) veröffentlichte der damalige SPD-Politiker Thilo Sarrazin das Buch „Deutschland schafft sich ab“. Sarrazin skizzierte dabei eine Gefahr, die durch ungesteuerte und fehlgeschlagene Zuwanderung besteht. Ein weiterer Schwerpunkt des Buches war die Aussage, dass immer mehr Schüler im Bildungssystem versagen, was zu katastrophalen Folgen für unseren Wohlstand führt. Das Buch wurde ein Bestseller. Zu dieser Zeit wechselte ich gerade zur weiterführenden Schule und kann mich erinnern, wie damals die Menschen über das Buch diskutierten. Im Fernsehen wurde in politischen Talkshows über das Buch gesprochen. Aber bald ging es in den Diskussionen nicht mehr um die Sache des Buches und die Entkräftung der Thesen Sarrazins. Es ging um die Diskreditierung der Person Thilo Sarazzin. Dies zeigte mir, dass die Reaktion auf zugespitzte und verletzende Äußerungen im öffentlichen Diskurs in Deutschland viel mehr emotional ausfällt statt sachlich.
Diese drei Beispiele sind meiner Ansicht nach die Ereignisse gewesen, die dazu geführt haben, dass sich in Deutschland die Politik und die Gesellschaft einander entfremdeten und nicht mehr über einzelne Probleme sachlich miteinander diskutierten. Die im Bundestag vertretenen Parteien haben immer mehr anderen Akteuren in der politischen Landschaft den Raum gegeben, sich hier festzusetzen. Menschen in Deutschland hatten das Gefühl, nicht mehr über alles in einem demokratischen Diskurs sprechen zu können. Durch die Eurokrise wurde die AfD Anfang 2013 von Bernd Lucke und Alexander Gauland gegründet, weil damals ihrer Meinung nach eine kritische Haltung gegenüber dem Euro und den Beitritt südeuropäischer Staaten zur Eurozone in der CDU nicht erwünscht gewesen ist. Es folgten weitere Krisen, die unsere Gesellschaft immer weiter spalteten (Flüchtlingskrise 2015-16, Brexit, US-Wahl 2016, Klimakrise, Corona, Auswirkungen des Ukraine-Krieges).

Es war jede dieser Krisen, die zum Domino-Effekt beigetragen hat, die der Alternative für Deutschland den Boden bereitete, sich zu etablieren. Wir als Junge Union-Schleswig Holstein sollten immer ein offenes Ohr für die Sorgen der Bürger haben. Persönliche Gespräche und sich den Problemen der Bürger zu stellen sind die einzigen Werkzeuge, um die Radikalen in unserem Bundesland kleinzuhalten. Aber die Gefahr, die von politischen Rändern ausgeht, trifft nicht nur Deutschland, sondern auch Europa und die gesamte demokratische Welt.

Auch appelliere ich an jedes unserer Mitglieder, dass es nie eine falsche oder richtige Meinung gibt, solange sie im demokratischen und grundrechtlichen Diskurs liegt. Jedes Anliegen sollte respektiert werden, auch wenn es unter zehn Personen eine Person gibt, die nicht dieselbe Meinung teilt, sollte trotzdem jede Meinung mit demselben Grad an Respekt angehört werden wie die Meinung der Mehrheit.

Ich sehe noch die Zeit, dass wir als Demokraten es schaffen werden, die Herausforderung zu meistern.