Stuttgart kommt von links.

23.06.2020
Persönliche Meinung

Blogbeitrag von Finn Wandhoff, Bundesvorsitzender der Schüler Union

In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurden Stuttgarter Polizisten während einer Drogenkontrolle von einer Gruppe Jugendlicher angegriffen und verletzt. Aus der Gruppe wurde schnell eine unkontrollierbare Menge von rund 500 Personen, die begann, Straßenzüge zu verwüsten und Ladenzeilen zu plündern. Währenddessen waren Polizeibeamte und andere Einsatzkräfte weiterhin willkürlicher körperlicher Gewalt ausgesetzt. Es wirkt, als habe sich der Rechtsstaat in dieser Nacht beugen müssen vor dem Recht des Halbstarken, als sei das Gewaltmonopol des Staates von weißen Sneakern aus dessen Hand getreten worden. Als vermeintlichen Schutzherren der Randale proklamierte laut Augenzeugen zumindest ein Teil der Menge ihren Gott in arabischer Sprache. Erst in den frühen Morgenstunden konnte der Konflikt beendet werden. Es bleibt heute, wenige Stunden danach, die fast naiv klingende Frage: Wie konnte es soweit kommen? Diese Frage stellt sich nicht nur in diesem Fall, sondern – die schiere Masse der Menschen lässt nichts anderes zu – gesamtgesellschaftlich.


Wer aber nun auf diese Frage präventiv jauchzt, es seien laut Polizei auf keinen Fall politisch motivierte Täter, macht es sich ebenso leicht, wie all jene, die eine genauere soziale und ethnische Definition der Menschenmenge über den Begriff „Partyszene“ hinaus nicht zulassen.
Kaum jemand wollte uns in den vergangenen Jahren überheblicher über die Auswirkungen von Sprachbildern belehren, als die politische Linke: Wer nicht gendert, fördere die kollektive Benachteiligung von Frauen. Wer sich kritisch zur Einwanderungspolitik äußert, sei mitverantwortlich für Brandanschläge auf Flüchtlingsheime. Oder zuletzt: Wer einen Bismarckplatz nicht umbenennt, schüre rassistische Strukturen. Das Problem an diesen Feuilletondebatten ist, dass sie niemals die Hetzer von ganz rechts treffen, sondern immer die gesellschaftliche und politische Mitte. Denn eine AfD lässt sich auf solche Debatten gar nicht erst ein, sondern nutzt sie lediglich zum Schüren von Feindbildern. Dabei ist die AfD selbst ja die Sittenpolizei des anderen Extrems: Wer findet, man sollte nicht mehr „Neger“ sagen, sei vom linken Zeitgeist indoktriniert, wer von Feuerwehrmännern und -frauen spricht sei linksgrün versifft und wer Thesen aus seriösen Medien zitiert ein naiver Gutmensch. So wird die vernünftige Mitte von Linken und Rechten zerrieben, ohne dass jemand offen anspricht, dass eben diese beiden Extrema Brandstiftung betreiben.


Ja, Sprache hat reale Folgen. Das betrifft aber eben nicht die ungezwungene, politisch unkorrekte und unintentiöse Sprache der Mittelklasse, sondern vielmehr die Agendasprache der politischen Ideologen. Die AfD befördert auf dem Nährboden ihres Erfolges eine unzivilisierte Barbarisierung von Sprache, die partikulär in faschistoider Kampfrhetorik mündet. Für die Folgen dieser Sprache, die keine Menschenwürde kennt, steht exemplarisch der Mord an Walter Lübcke. Dass solches klar benannt wird, muss zu jeder Zeit von CDU und CSU kommen, denn es muss ohne jeden Zweifel erkennbar sein, dass wir eben weder auf dem linken- noch auf dem rechten Auge blind sind. In der Union gibt es kaum einen, der diese Aufgabe so leidenschaftlich und authentisch wahrnimmt, wie Horst Seehofer. Er erhob die Klage für ein Parteiverbot der NPD, nennt die Rhetorik der AfD beim Namen und hat jetzt Strafanzeige gegen eine taz-Kolumnistin erstattet. Diese schrieb vor wenigen Tagen im Kontext der Debatte um Polizeigewalt in den USA einen Beitrag in verachtender Rhetorik gegen die Polizei, in dem unter anderem eine Entsorgung der Beamten auf dem Müll vorgeschlagen wird – erinnert sich jemand an Alexander Gaulands Entsorgungsforderungen? Dieses Beispiel steht exemplarisch für jene gefährliche Sorte von Sprache, die von allen politischen Extremisten kommt, wie nicht erst jetzt erkennbar wird.


Der taz-Artikel war die Spitze der Wut gegen die Polizei hier in Deutschland, die Chronik dieser Wut begann aber woanders. Im Zuge der amerikanischen Antirassismusproteste begann zurecht auch hier eine emotionale Debatte über Rassismus, in der es wie immer polarisierende Positionen gab, die aber von vielen Betroffenen mit aller nötigen Ernsthaftigkeit geführt wurde und noch immer geführt wird. Folgenreich und hoch problematisch wurde es erst mit der Instrumentalisierung der Debatte durch die politische Linke, von der Grünen Jugend bis zur Antifa und letztlich durch die Kolumnistin in der taz. Sie alle haben sich politisch an der eigentlichen Debatte und allen Opfern von rassistischer Gewalt vergangen, indem sie bewusst suggerierten, die Verhältnisse in der amerikanischen Polizei seien irgendwie auf Deutschland übertragbar. Es ist eigentlich, was Populisten von links und rechts schon immer tun: Sie reiten auf einer Welle echten Leids und echter Missstände, um ihr ideologisches Weltbild mit Emotion zu füttern. Wie zynisch und folgenschwer diese populistischen Stoßgebete sind, wurde in Stuttgart nun wieder in trauriger Weise verbildlicht.


Eine gründliche und ehrliche Aufarbeitung der Ereignisse von Stuttgart ist unbedingt notwendig und angebracht; dem würde wahrscheinlich niemand wiedersprechen. Die Fehler der Aufarbeitung beginnen jedoch bereits am Tag danach. Es mag gut gemeint sein, dass man bei der Beschreibung der Tätergruppe lediglich auf die Partyszene verweist. In der Realität hilft es aber nicht, die ethnische und soziale Zusammensetzung außer Acht zu lassen. Ein befürchteter Hass gegen ganze Migrantengruppen wird eher geschürt, wenn das Medienpublikum das Gefühl hat, man will ihm etwas verschweigen. Genau das passiert, wenn Zeugenberichte explizit auf den augenscheinlichen Migrantenanteil in der Menge hinweisen und Medienberichte diesen Umstand nicht erwähnen. Ein solches Erlebnis gab es mit der Kölner Silvesternacht bereits, mit fatalen Vertrauensverlusten für Medien aber auch Politik. Es geht bei der ehrlichen Analyse der Stuttgarter Nacht nicht um die vermeintliche Bestätigung irgendwelcher irrationaler Ressentiments. Es geht vielmehr um die schlichte Tatsache, dass eine wahrheitsgemäße Analyse der Sachlage unbedingt notwendig ist, wenn man richtig und wirkungsvoll auf die Geschehnisse reagieren will. Alles andere wäre bloße Symptombekämpfung.


Aus Stuttgart richtige Schlüsse zu ziehen fällt schwer. Denn es klingt schon beinahe wie eine Binse, einen starken Staat oder eine konsequente Durchsetzung geltenden Rechts zu fordern. Das macht diese Forderungen allerdings auch nicht falscher. Wir dürfen uns als Union nicht zu schade sein, immer wieder deutlich „Recht und Ordnung“ zu fordern – und wenn Trump diesen Satz noch so oft missbraucht. Denn dahinter steht ein Ideal, das höher nicht sein könnte und dem wir uns immer wieder annähern müssen. Dieser Grundsatz atmet den Geist unseres Grundgesetzes und die demokratische Leidenschaft der Gründungszeit unserer Bundesrepublik. Er bedeutet Demokratie, Freiheit und Rechtstaat. Unsere Herzensaufgabe als CDU kann nur sein, diesen Geist, diese Leidenschaft am Leben zu halten und niemals zuzulassen, dass man ihrer müde wird.  Zum 75 Jubiläum der CDU Deutschlands wird also eines so deutlich wie seit Jahren nicht: Es kommt in diesem 21. Jahrhundert auf die politische Mitte an, auf die Konservativen und Liberalen. Alle anderen sind ohne weiteres bereit, für politische Ideologien die Sicherheit und damit die Freiheit der breiten Bevölkerung zu gefährden. Alle anderen, rechte wie linke blenden soziale Realitäten aus und können damit niemals vernünftige Antworten auf Missstände formulieren. Wir haben alle politischen Voraussetzungen, die treibende Kraft dieser Zeit zu sein, vorausgesetzt, wir selbst finden zu einem neuen inneren Antrieb und – das darf mit Perspektive zum Bundesparteitag im Dezember nicht fehlen – einen neuen Antreiber.